Der Lockdown
einmal anders betrachtet
Jeder klagt über die Pandemie des SARS CoV 2-Viruses. Alle leiden sie. Nein, nicht alle, ich nicht. Ich möchte einmal auf dieses schicksalhafte Auftreten der Seuche Licht von einem völlig anderen Standpunkt aus betrachtet werfen:
Davor eine kurze Feststellung: Selbstverständlich bin ich mir über das schreckliche Leid, das diese Seuche auf verschiedenster Ebene über die Menschheit gebracht hat, absolut im Klaren und möchte hier nichts schönreden – es geht nur darum zu zeigen, dass jede Münze zwei Seiten hat.
Schauen wir uns doch das Gros der Menschen vor der Pandemie an: Sie sind ständig beschäftigt (nur nicht mit sich selbst), sie machen ständig irgendetwas, oft bis meist sind sie richtig gehetzt. Ja selbst im Supermarkt ist der Pensionist recht ungeduldig und will möglichst schnell drankommen. Jeder eilt dahin und daher darf es nicht wundern, dass die Anzahl der vom Burn-out gequälten Menschen im letzten Jahrzehnt einen noch nie zuvor erlangten Höhepunkt erreicht hat.
Alle laufen sie hinter etwas her, aber niemand hält einmal einen Moment inne, um sich ganz einfach zu fragen: „Ja, warum? Wozu das Ganze?“ Was will ich eigentlich wirklich vom Leben, wofür bin ich eigentlich hier, auf diesem so einzigartigen Planeten auf Besuch? Was wird übrigbleiben, wenn ich wieder gegangen bin?
Etwas in ihnen lässt sie fühlen, dass da etwas nicht ganz stimmt, denn wenige wirken zufrieden oder glücklich. Würden sie im Einklang mit ihrer Seele, mit ihrem inneren Wesen agieren, wäre das Glücklichsein die völlig logische Konsequenz. Aber genau da liegt das Problem: Das innere und das äußere Leben der Menschen steht nicht in Einklang. Das innere Leben verkümmert und das äußere Dasein, das Leben auf der Oberfläche des Seins, bestimmt alles und lässt uns Zielen nachhetzen, die vielleicht vom Zeitgeist, von der Gesellschaft oder von sonst wo souffliert werden – meist jedoch nicht von unserer inneren Notwendigkeit. Wir haben einfach keine Zeit, uns diese Fragen zu stellen, denn wir müssen ständig irgendwo hineilen. Dabei merken wir gar nicht, dass wir trotz des Stresses, trotz des Getriebenseins letztlich auf der Stelle treten bzw. uns im Kreis bewegen. Kein Wunder, dass Unglücklichsein die größte Krankheit der zivilisierten Menschheit ist. Würden wir inneren Fortschritt machen, würden wir uns in Gelassenheit vorwärtsbewegen und nicht im Kreis laufen, dann wären wir wirklich glücklich, denn das Glück kann nur in einem dynamischen Menschen Fuß fassen, der sich innerlich weiterbewegt. Nicht aber in einem Menschen, der innerlich „stuck“, also erstarrt ist.
Ja, man merkt es sogar beim Autofahren. Die Ampel schaltet auf Rot und man könnte gemütlich zur Ampel rollen. Mit Sicherheit wird man dann aber auf einer mehrspurigen Straße noch kurz davor von einem Auto überholt, das noch einmal beschleunigt hat, um dann bei der Ampel erst recht abrupt abbremsen zu müssen – ich kann das täglich beobachten. Dieses Verhalten spiegelt sehr gut den inneren Spannungszustand, den inneren Druck wider, unter dem viele Menschen stehen – in der Regel sind sie sich dessen natürlich gar nicht bewusst. Ja, sie haben häufig Wirbelsäulenbeschwerden oder einen steifen Nacken oder alle möglichen anderen psychosomatischen Beschwerden, aber die werden auf das zunehmende Alter geschoben. Seltsam, dass viele dieser Beschwerden dann in der Pension wieder aufhören, obwohl das Alter weiter zugenommen hat…
Naja, das moderne Stadtleben verlangt vom gehetzten Menschen viel Leistung, Geschwindigkeit, und versorgt ihn gleichzeitig mit einer Flut an Reizen. Der Radio weckt uns in der Früh schon auf, begleitet uns in die U-Bahn oder ins Auto und begleitet sogar manch einen durch den ganzen Arbeitstag. Ich kenne eine Person, die hat den Fernseher den ganzen Tag laufen und wenn sie ins Bad geht, schaltet sich dort durch einen Lichtschranken ausgelöst der Radio an – welches Ausmaß an Einsamkeit müssen solche Menschen erleiden, wenn sie zu einer derartigen Betäubungsmaschinerie Zuflucht nehmen?! Und das mitten im Ballungsgebiet. Der Mensch ist sich immer mehr selbst enfremdet. Ja, Telefonate, Termindruck, Erfolgserwartungen, ständiges Piepsen des Smartphones mit einer eigenen Flut von (teilweise mehr als entbehrlichen) Informationen, das ist für viele der „sogenannte normale“ Alltag geworden. Ich würde eher sagen: der normale Wahnsinn. Bitte um Verzeihung, aber in meinen Augen ist das nicht mehr normal. Aber mit meiner Ansicht werde ich mich nicht durchsetzen können, denn was die Mehrheit tut, ist normal. Und wenn zum Beispiel die Mehrheit aufgrund von Luftverschmutzung Asthma hat, dann ist eben Asthma normal und kein Asthma zu haben, abnormal.
Was würde ich bevorzugen? Emotionen nicht mehr durch eine Emoji oder einen Smiley bzw. Emoticon, also seelenlos digital zum Ausdruck zu bringen, sondern noch auf einer menschlichen Ebene: Ganz einfach zum Beispiel durch ein Lächeln, durch die Stimme, durch eine Geste oder einen Blick ausdrücken; jedenfalls durch einen persönlichen Kontakt. Und so etwas kann durchaus ein bisschen warten, es muss nicht allzeit und immer die Kommunikation mit den Mitmenschen (digital) aufrechterhalten werden. Umso mehr freut man sich dann wieder auf ein Treffen. Ich weiß schon – gerade dies geht in Zeiten eines Lockdowns nicht. Aber der Lockdown – und das ist die gute Seite an ihm – schenkt den Menschen eine Zeit zur Besinnung (die er zum Beispiel während der üblichen Weihnachten in der Regel nicht hat), Zeit zum Reflektieren, ja sogar Zeit zum Reset, wenn nötig.
Information, Unterhaltung, Arbeit so vieles läuft heute über das Internet, über die digitale Welt. Ja, angeblich finden sich heute schon mehr als die Hälfte der Paare durch das Internet. Das Menschliche wird immer mehr durch die Maschine, ich meine durch den Computer verdrängt. Wie gesagt, man schickt sich immer öfter ein Sms oder E-Mail, statt dass man noch miteinander spricht – das kostet mitunter weniger Energie, sicher – aber wo bleibt die Natürlichkeit, das Menschliche, das, was über zig Jahrtausende das Übliche war?
Ich bin in keiner Weise ein grundsätzlicher Gegner des Internet, der Technik und des Fortschritts. Ich fahre schon mein ganzes Leben Autos, bin schon in über 40 Länder der Welt geflogen bzw. gefahren, verfüge über Smartphone und zwei Laptops und großen Heimcomputer und zwei Mobiltelefone (eines ist das Diensthandy). Aber ich habe nicht vergessen, dass die Natur, die Natürlichkeit, das Menschliche zum Glücklichsein und Ausgeglichensein unabdingbar ist. Ich möchte mich nicht zum Sklaven der Technik machen lassen, sondern diese nur gezielt benützen, wo sie nötig ist. Ich möchte mich nicht von der ungesiebten Manipulation des Internets und dessen unzähligen negativen bzw. spirituell betrachtet unerquicklichen Seiten negativ beeinflussen lassen. Jetzt bin ich aber eindeutig vom Thema abgedriftet. Zurück zum Lockdown
Jede Münze hat zwei Seiten. So auch die aktuelle Pandemie inklusive dem mit diesem einhergehenden Lockdown.
Keine ‚Frage, sie hat viel schreckliches Elend mit sich gebracht. Trotzdem wage ich zu behaupten, dass sie für etwas gut ist, auch wenn der menschliche Verstand dies – wie alle Entscheidungen Gottes – nicht beurteilen kann. Der Mensch hat nun einmal einfach eine begrenzte Fähigkeit, den Sinn von Erfahrungen abzuschätzen. Unsere Quelle, die manche Gott nennen, sieht jedenfalls weiter und daher ist es durchaus (spirituell betrachtet) klug, sich dieser einfach zu überantworten und zu sagen – „Er“ wird schon wissen. Sein Wille geschehe.
Wenn man eine Veränderung wünscht – und ich glaube, ich habe eingehend genug erläutert, dass wir fast alle eine Veränderung gut gebrauchen könnten – dann muss zuerst einmal der Boden dafür bereitet werden. Wenn ich ein neues Haus aufbauen will, muss zuerst einmal die alte Hütte abgerissen, der Müll entfernt und der Platz freigeräumt werden. Und im übertragenen Sinne passierte so etwas durch diese Pandemie, die sicher in die Geschichtsbücher eingehen wird.
Von einem praktischen Standpunkt aus betrachtet hat in dieser Pandemie eine große Entschleunigung stattgefunden. Der Mensch war plötzlich ein wenig mehr auf sich selbst zurückgeworfen, hatte Zeit, sich zu finden, über die Dinge, auch über die Vergänglichkeit des Lebens – so er einen Nahestehenden verloren hat, einmal nachzudenken. Mehr Raum seinem inneren Leben zu geben, oder, was vielleicht noch häufiger passierte, er erhielt eine Art Weckruf. Denn wenn man das Leben als Selbstverständlichkeit ansieht und in seinem Trott gefangen ist, wird man sich kaum auf die innere Suche aufmachen. Und spirituell betrachtet ist die innere Suche das wichtigste, ja eigentlich das einzig wichtige im Leben. Aber durch die einschneidenden Veränderungen in unserem Lockdown-Leben gepaart mit dem Umstand, dass wir über mehr Zeit verfügen, kann es zusammen mit dem Schock über die unsichtbare Gefahr durchaus bei dem einen oder anderen dazu gekommen sein, dass er beginnt zu fragen: Was mach ich eigentlich auf diesem Planeten? Was habe ich Bleibendes erreicht, Was ist der Sinn des Lebens? Was empfehlen die Weisheitslehrer dieser Welt für eine Lebensweise. Gibt es da vielleicht noch mehr, als ich in meiner Routine-Hetze wahrgenommen habe?
Im Routinealltag denkt man doch sonst eher nach, was man sich im Fernsehen ansehen könnte, was heute am Speiseplan stehen könnte usw.
In meinem Leben trat zwar keine Entschleunigung ein, da ich als Arzt noch wesentlich mehr gefordert war als in den Zeiten davor. Aber durch das weitgehende Wegfallen der „sozialen Verpflichtungen“ hatte ich letztlich doch mehr Zeit für mich selbst. Und so, wie sich Mutter Natur im Lockdown erheblich erholen konnte, was u.a. durch Satellitenaufnahmen bewiesen wurde, so nutzte ich die Stille auf den Straßen und die Stille in der Atmosphäre für vertiefte und verlängerte Meditationen. Und das Ergebnis war erstaunlich. Ich glaube, was meine Meditationen betrifft, hatte ich in den letzten 40 Jahren noch nie ein so erfüllendes, zutiefst befriedigendes Jahr wie 2020! Ihr seht, aus einer ursprünglich negativen Situation kam etwas absolut Positives. Grundsätzlich versuche ich zwar in jedem Aspekt des Lebens den positiven Teil zu sehen, denn sonst würde ich nur mein Bewusstsein, mein inneres Leben, völlig unnötig vergiften. Bei mir ist also das Glas immer halb voll, nie halb leer. Aber bezüglich der Pandemie gehörte ich, was meinen inneren Fortschritt betrifft, unabhängig von diesem Betrachtungsansatz zu den großen Gewinnern. Und ich weiß von Zuschriften mir unbekannter Sucher, die sich nach Meditationskursen erkundigten, obwohl jeder wusste, dass derlei Aktivitäten derzeit aufgrund des Lockdowns gesetzlich verboten sind, dass ich nicht der Einzige bin, der aufgrund der speziellen Umstände die Frage nach dem Sinn des Lebens, nach innerem Fortschritt nun neu aktualisiert und mit frischer Energie versorgt hat…
Nebenbei bemerkt möchte ich auch meiner Hoffnung Ausdruck verleihen, dass die Menschen jetzt weise genug sind und sich durch die von der Natur erzwungen Erholung unseres Klimas daran erinnern lassen, dass dieses Klima für uns und unsere Kinder und alle zukünftigen Generationen eine Frage des Seins oder Nichtseins wird. Es ist eines unserer höchsten Güter. Lasst uns dem Aufschrei der Natur folgen und dankbarer für alles sein, was wir sonst für so selbstverständlich nehmen. Ein lebenswertes Klima, eine gesunde Luft, ein gutes Wasser und noch ein paar Flecken unberührter Natur sind wichtiger als ein ständiges Wirtschaftswachstum.
Wenn wir all diese Lehren aus der Pandemie ziehen können und auch einen Anstoß mitnehmen können, das innere Leben wieder ernster zu nehmen, dann hatte diese Pandemie durchaus auch positive Aspekte.
Arthada, Wien am 7. 1. 2020