Gedanken kontrollieren
Das Haupthindernis auf der Suche nach dem wahren Selbst bzw. auf dem Weg zur Selbstverwirklichung bzw. Erleuchtung ist in erster Linie unser Verstand, und zwar seine Rastlosigkeit und übermäßige sowie gleichzeitig unkontrollierte Aktivität.
Wege zur Kontrolle der Gedanken
Es führen verschiedene Wege zur Kontrolle der Gedanken. Grundsätzlich gibt es zwei Hauptwege zur Beruhigung bzw. Kontrolle des Verstandes:
Die eine Methode versucht zu erkennen, welcher Natur der Verstand selbst ist. In der Folge lässt die Aktivität des Verstandes nach. Letztlich geht man über den Verstand hinaus. Dies ist die Methode des Jnani Yogis; eine sehr anspruchsvolle und schwierige Methode.
Bei der anderen Methode versucht man den Verstand auf eine einzige Sache zu fixieren. Dann wird der Verstand automatisch ruhig und gelassen. Diese Methode ist wesentlich einfacher, verbreiterter, aber um nichts weniger überzeugender.
Hilfen beim Fokussieren des Verstandes
Grundsätzlich verursachen all die Eindrücke der Welt, also unseres Alltags eine gewisse Rastlosigkeit des Verstandes. Daher hilft es, wenn man sich ab und zu zurückzieht, alleine bleibt, oder einfach in der Stille, zum Beispiel in der Natur verweilt. Obwohl uns das sehr helfen kann, ist es damit alleine noch nicht getan, denn nur zu oft nehmen wir unfreiwillig die unruhige Welt unseres Verstandes in die Einsamkeit mit.
Daher sollten wir langsam danach trachten, den Fokus unserer Aufmerksamkeit ein wenig von jenen Dingen, die dem „Selbst“, also der Erleuchtung, entgegenstehen, abzuwenden, und dafür jenen Aktivitäten, die uns der Selbstverwirklichung näher bringen, wie etwa der Meditation, dem spirituellen Singen und dem Lesen spiritueller Schriften, aber durchaus auch Sport und Anderem zuzuwenden. So wird langsam unsere Fähigkeit zur Konzentration nach innen und die Tiefe unserer Meditation zunehmen, was automatisch inneren Frieden nach sich zieht.
Das Herz - eine mächtige Hilfe
Frieden im Verstand zu erreichen, ist sehr, sehr schwer. Aber in den Frieden des Herzens zu tauchen, ist vergleichweise leicht. Wir werden also beginnen müssen, das Zentrum unseres Lebens langsam aber stetig vom Verstand in das Herz zu senken, auch wenn wir vom Kindergarten an gelernt haben, dass der Verstand unser höchstes Instrument ist. Das ist die schnellste, einfachste und zugleich erfüllendste Lösung des Problems. Denn dann versiegen die Gedanken langsam von sich aus . Später können wir dann den Frieden des Herzens in den Verstand hinaufbringen... (diesen beiden Mitgliedern unserer Wesensfamilie, nämlich dem Verstand und dem Herz, habe ich einen eigenen Aufsatz gewidmet; denn hat man die Funktionsweise dieser beiden Wesensteile unseres "Systems" durchschaut und zieht man daraus seine Konsequenzen, dann hat man vielleicht schon den wichtigsten Teil des Weges zur Gottverwirklichung hinter sich gebracht: - siehe hier).
Unser innerer Frieden beruhigt also zunehmend die rastlosen Gedankenwellen in unserem Verstand . Wenn wir schlussendlich unsere Sinne völlig kontrollieren können und fähig werden, in unserer Kontemplation in die tiefste Tiefe unseres Herzens, und zwar in die absolute Stille unserer Seele einzutauchen, werden wir in Samadhi, also in Gottestrance, versinken.
Strebsamkeit - die Kraft hinter unserer spirituellen Praxis
Soweit die Theorie. Und natürlich gab es über die Jahrtausende auch genug Yogis, die das erfolgreich praktizierten und umsetzten. Aber was ist die Energie oder der Motor hinter dieser zunehmenden Fokussierung nach innen bzw. auf jene Welt jenseits der Gedanken, jenseits des Verstandes? Es ist unsere innere Sehnsucht, unser inneres Feuer – die innere Strebsamkeit. Sie entsteht, wenn dem reifen Beobachter zunehmend die flüchtige Natur dieser äußeren, materiellen Welt bewusst wird. Und sie glüht in unserem Herzen, nicht in unserem Verstand. Wir sehen also schon wieder: Das Herz ist der Schlüssel zu einem erfüllten spirituellen Leben, in dem man substantiellen Fortschritt macht. Manchmal helfen uns Schicksalsschläge zu dieser Erkenntnis. In so einem Fall kann man dann sicherlich auch von einem Segen in Verkleidung sprechen. Wie heißt es im Englischen so schrecklich und doch wahr – “No pain – no gain.“ Dann beginnt sich der Mensch auf sein wahres Wesen zu besinnen oder vielleicht genauer gesagt, beginnt er sich zu fragen, wer bin ich eigentlich, was ist der Sinn meines Lebens, wie kann man in dieser Welt glücklich werden?
Er erkennt, dass ihn weder „name“ noch „fame“, weder Ansehen, Ruhm, Geld noch Erfolg glücklich machen kann. Welcher berühmte Star ist wirklich entspannt und glücklich?! Und die Millionäre zählen bekanntlich auch nicht zu den glücklichsten Menschen; hieß es nicht schon vor 2.000 Jahren, "Eher kommt ein Kamel durch ein Nadelöhr, als ein Reicher in den Himmel?" Ja, selbst Menschen, die in den verschiedensten Vergnügen oder in größtmöglichem Komfort schwelgen, sind deshalb keineswegs automatisch glücklich – oft verhält es sich gerade umgekehrt!
Noch einmal ein Wort zu den zwei großen Wegen
Es gibt also viele Gründe, seinen Blick nach innen zu richten und danach zu trachten, über die unruhige, rast- und friedlose Welt der Gedanken und damit des Verstandes hinauszugehen. Eine Methode ist das einfache Nachinnenhören, die Methode des Jnani-Yogis, der der Frage „Wer bin ich“ auf den Grund gehen will.
Viele Meister der Vergangenheit betonten allerdings, dass sich dieser Weg nur für sehr ausgesuchte Seelen eignet, denn man muss sehr reif sein und darf sich nicht durch die auf diesem Weg wohl unausbleiblichen trockenen Phasen abhalten lassen, weiter zu streben. Neben dieser eher trockenen, analytischen Methode gibt es die viel mehr verbreitete und meiner Meinung nach auch wesentlich einfachere und vielleicht für die meisten inneren Sucher auch befriedigendere Methode des Bhakti Yogas, der seine Liebe, Freude und positiven Eigenschaften für spirituelle Zwecke einsetzt.
Der Weg des Herzens bzw. Bhakta Yoga
Im Bhakta-Yoga wird Hinwendung, Ergebenheit und Hingabe an ein selbsterwähltes Ideal praktiziert. Das Ideal, auf das man seine Emotionen und seine Liebe richtet, dem man seine Handlungen widmet und das zu seinem Lebenssinn wird, kann Gott in abstrakter Form oder ein „Sohn“ Gottes (natürlich auch eine Tochter Gottes), also ein Mensch sein, der sich seiner göttlichen Natur schon völlig bewusst wurde, ein erleuchteter Meister bzw. eine erleuchtete Meisterin also. Theoretisch könnte man seine Liebe, Hingabe Selbstüberantwortung auch der Menschheit als Ganzes, ja sogar moralischen Gesetzen oder gar irgendwelchen Idealen, zum Beispiel dem Ideal der Schönheit, schenken.
Ich persönlich praktiziere nur die Hingabe an einen spirituellen Meister, weil das für mich das Überzeugendste und Erfüllendste ist, was ich in meinem Leben erfahren habe. Je mehr uns jedenfalls die Hingabe an das auserwählte Ideal erfüllt, desto weniger wird man von den Anhaftungen der Welt gebunden. Wenn wir glücklich sind und wenn wir ein innerlich erfülltes Leben führen, reduzieren sich automatisch unsere Wünsche, die allesamt Kinder des Verstandes sind und die mit dem flüchtigen oberflächlichen Leben verbunden sind, das keinen Bestand hat; das binden will und gebunden werden will und somit eine der Wurzeln des Leides auf dieser Erde konstituiert.
In der Folge wird auch der Verstand fokussierter, denn wenn sich unsere Wünsche reduzieren, wird er automatisch weniger unstet sein; es wird mehr Frieden in ihn einkehren. Die Anhaftungen an die vergängliche Welt, die uns letztlich nie bleibend erfüllen können, werden also gewissermaßen langsam durch die „Anhaftung“ an das erwählte Ideal, also zum Beispiel an Gott bzw. an Gott im Meister ersetzt. Ein innerer Friede wird in der Folge mehr und mehr zu unserer zweiten Natur, denn wenn wir uns auf eine gottverwirklichte Person fokussieren, konzentrieren wir uns auf die Verkörperung von Liebe, Freude und Frieden. Diese Eigenschaften werden dann ganz automatisch mehr und mehr in in unserem Wesen Fuß fassen. Und Frieden bedeutet Glücklichsein. Das Vergnügen - im Gegensatz dazu - kann uns niemals wirklich glücklich machen. Gleichzeitig wächst auf uns unbewusster Weise unsere Fähigkeit, den Verstand mehr und mehr unter Kontrolle zu halten und so nähern wir uns somit mehr und mehr dem Ziel der Ziele – nämlich der Erleuchtung.
Arthada, Wien am 12. Dez. 2015