Negatives einfach wegmeditieren
In jedem von uns
In jedem von uns läuft ein Film ab. Manchmal sind es Komödien, manchmal ist es ein Kabarett, gelegentlich sind es Romanzen, nicht selten aber auch kleinere oder größere Tragödien… Allzu häufig läuft leider in unserem Kopf etwas ab, was uns nicht wirklich gefällt. Versteht mich nicht falsch: Das soll in keiner Weise eine Kritik an uns selbst sein - um Himmels Willen! Wir selbst sind natürlich perfekt. Oder, na gut, sagen wir zumindest ein bisschen klüger als die meisten Anderen, und würde die Welt unseren Fußstapfen folgen, da sind wir uns schon so ziemlich sicher, zumindest die meisten von uns, wäre diese Welt doch eine bessere Welt…
Ja, das empfinden viele Menschen so; die meisten sogar.
Aber die Welt will nun einmal in der Regel nicht in unsere Fußstapfen steigen und jeder geht die Dinge auf seine eigene Art und Weise an, was uns durchaus auf die Nerven gehen kann. Einmal ärgern wir uns darüber, dass einer ständig angibt und sich überlegen fühlt oder uns gegenüber nicht den nötigen Respekt zeigt. Ein anderes Mal haben wir aus einer eigenen Unsicherheit heraus ein Unterlegenheitsgefühl und sind einfach eifersüchtig, weil der andere schöner ist, klüger ist, erfolgreicher ist, besser ankommt und dann gibt es noch genug andere Gründe in dieser Welt. Dann wieder ärgern wir uns gehörig über die Dummheit von Menschen, deren Arroganz, Unverschämtheit, Heuchlertum… diese Liste könnte man endlos weiterführen. Es gibt einfach genug Umstände, die uns die Freude stehlen können!
Wir sagen: All dieses Negative kommt von ihm, von ihr – jedenfalls von außen. Wir sind nur das Opfer dieser schlechten Welt.
Der Yogi sagt hingegen: Das Negative wird erst in deinem Kopf zum Negativen! Ein Kleinkind, das einen Dieb beim Diebstahl beobachtet, weiß noch nicht, dass es sich um einen Diebstahl handelt. Es nimmt nichts Negatives wahr.
Der Verliebte, der auf Wolke Sieben dahinschwebt, nimmt oft auch nichts Negatives wahr, denn sein System ist so auf Liebe, auf Freude und Dankbarkeit – auf Positivität ausgerichtet, dass das Negative in ihm gar nicht mitresonieren kann. Greift man auf der Gitarre eine Saite in der Tonhöhe, dass sie die gleiche Tonhöhe hat, wie eine leere Saite, und schlägt sie an, dann beginnt die leere Saite auch zu schwingen. Das nennt man Resonanz. Wenn im Verliebten vor lauter überschießenden positiven Gefühlen kein Platz für das Negative vorhanden ist, dann resoniert auch nichts Negatives in ihm mit, wenn er mit Negativem konfrontiert wird.
Ich gebe zu, für einen gewöhnlichen Menschen ist es schlicht und einfach unmöglich, die Erfahrung des bis hinter die Ohren Verliebtseins längerfristig beizubehalten. Ein großer indischer Yogi hat einmal vor ca. 100 Jahren gesagt, die Gefühle des Verliebtseins sind grundsätzlich nicht irdischer Natur, sondern kommen (gewissermaßen leihweise) aus dem „Himmel“ und müssen daher früher oder später wieder zu ihrem Ursprung zurückkehren. Ein erleuchteter Yogi kann allerdings nach freiem Belieben in dieser Erfahrung tiefster Liebe, also in einem Art Himmels-Bewusstsein verbleiben. Nur leider ist es nicht leicht, sich zu diesem erhabenen Bewusstsein zu erheben, die wenigsten schaffen es.
Aber man kann relativ einfach lernen, sich innerlich vom Negativen zu lösen, auch wenn dieses Ziel nicht ohne Geduld erreicht werden wird. Zuerst sollte man sich einmal bewusst sein, dass die Menschen grundsätzlich nicht schlecht, böse oder sonst irgendwie ein Problem für uns sind. Sie fallen vielmehr – übrigens wie wir selbst auch – nur immer wieder falschen Einflüssen und Kräften zum Opfer. Aber hinter jedem Menschen verbirgt sich ein (manchmal sehr verdeckter, verborgener) Kern – die Seele. Die äußere Schicht um dieses wunderschöne Ding - der Seele - herum, das, was wir von Menschen vorerst an deren Oberfläche wahrnehmen, mag auf uns unfreundlich, ja abstoßend wirken. Aber so wie die unansehnliche Auster in sich eine wunderschöne Perle beherbergt, so versteckt sich auch hinter den schwierigsten Zeitgenossen, hinter einer oft ruppigen Oberfläche etwas Einzigartiges, das von einer höheren Kraft erschaffen wurde und selbst dessen Besitzer unbekannt ist. Sein wahres Wesen.
Die Technik des Loslassens funktioniert nun so: Wir setzen uns mit aufrechtem Rückgrat in eine Ecke unserer Wohnung hin, wo wir etwas Stille und Ruhe finden, und fixieren unseren Blick auf etwas Schönes: etwa eine Kerzenflamme, eine Blume, ein Bild mit einem Berg, dem Meer, oder ein Bild eines spirituellen Meisters.
Erst wenn wir versuchen, im Kopf still zu werden, also alles Negative abzuschalten, wird uns wirklich bewusst, dass da oben, ich meine in unserer Birne, ein ständiger Film abläuft. Und wenn es kein Film ist, dann sind es ständige Gedanken, Kommentare, Erinnerungen usw. Zuerst ist es ratsam, gar nicht zu meditieren zu versuchen, sondern sich zu konzentrieren. Wir öffnen die Augen nur halb und beginnen ein Mantra zu wiederholen. Ich empfehle zum Beispiel das allseits bekannte OM, das über vielfältige meditative Wirkungen verfügt. So ist unser Geist einmal beschäftigt. Ihr werdet euch wundern: Obwohl ihr ihn beschäftigt habt, schafft er es dennoch immer wieder abzuweichen und seine Eigendynamik zu entwickeln, und dies, obwohl ihr gerade diese Eigendynamik des Verstandes unterbinden wollt.
Regel Nummer eins: Ärgert euch nicht. Gelassenheit sollte eure Grundeinstellung prägen, insbesondere während solcher Übungen, da hier Gefühle stärker zum Ausdruck kommen können. Kommt ein Gedanke, dann registriert ihn, ohne ihn zu bewerten und weg damit – zurück zum Mantra. Alles in tiefer Entspanntheit, in Ruhe, treffender gesagt in Frieden.
Nach ein bisschen Übung werdet ihr bemerken, dass langsam eine Weite in euch, damit meine ich in eurem Herzen, um sich greift, und diese stille Weite, die anfangs oft als Leere, aber nicht im negativen Sinne, empfunden wird, füllt sich später mit positiven Gefühlen. Als erstes kommt in der Regel die Erfahrung des inneren Friedens, die interessanter Weise oft auch mit einem leichten Gefühl körperlichen Frierens einhergehen kann. Auf der Basis des Friedens können sich später andere positive Gefühle, vor allem ein Wohlwollen für die Welt und auch ein sehr gutes Gefühl einem selbst gegenüber dazugesellen. Das hat nichts mit Narzissmus zu tun, sondern ist vielmehr eine Voraussetzung dafür, dass man auch Liebe den anderen schenken kann.
Wenn ihr ein wenig Geduld aufbringen könnt, werdet ihr bemerken, dass mehr und mehr positive Gefühle von euch Besitz ergreifen. Ja, sie ergreifen von euch Besitz – ihr könnt sie nicht herbeizwingen, aber sie kommen von selbst. Daher heißt es auch, dass man nicht meditiert, sondern meditiert wird, diese Ausdrucksweise wäre jedenfalls viel treffender. Man öffnet sich und dann kommt eine „Gnade“. Der Meditierende wird gewissermaßen zu einem Beobachter, zu einem Zuhörer, der sich zwar aktiv in eine empfängliche Haltung bringt, der Rest geschieht aber automatisch, ohne sein aktives Zutun. Je nach religiöser Anschauung kommt diese Gnade von der Urquelle, von oben – von Gott, oder aber von der eigenen Seele, also von seinem eigenen tiefsten Inneren, seinem wahren „Ich“ – dem „Selbst“, dem Atma, wie der Yogi sagen würde.
Ist man einmal in diesem Selbst verwurzelt, dann ist man wie eine Lotusblume: Wenn man Wasser über eine Lotusblume träufeln lässt, perlt dieses sofort ab, die Blume bleibt unberührt davon. Daher ist sie auch immer rein. Noch nie hat jemand eine unreine Lotusblume gesehen! Wer mit seinem Selbst in der tiefen Meditation vereinigt ist, steht weit über allem Negativen dieser Welt – ja oft registriert er es gar nicht mehr.
Um dorthin zu kommen, ist allerding Übung und Disziplin unabdingbar. Wir müssen uns anstrengen, wenn wir aus dem Meer der Unwissenheit, des Leidens, wie die Buddhisten sagen würden, herauskommen wollen. Das heißt, wir müssen unsere Hand mit Fokus „nach oben“ ausstrecken. Geschieht dies mit der nötigen Aufrichtigkeit und Konsequenz, dann kommt die Gnade ins Spiel. Dann wird diese Hand ergriffen und wir werden ohne unser eigenes Zutun aus dem Meer der Unwissenheit herausgezogen. Das ist keine Hoffnung, kein reiner Glaube, das ist vielmehr die praktische Erfahrung von tausenden und abertausenden inneren Suchern und Yogis, welche diese über all die Jahrhunderte, über alle Zeitalter hinweg gemacht haben.
Hier finden wir, glaube ich, auch einen Unterschied zwischen der reinen Religion und der Spiritualität im engeren Sinne (obwohl man selbstverständlich auch in den Religionen spirituelle Menschen antreffen kann):
Im religiösen Leben glauben wir, und oft pflegen wir den Glauben auch auf der äußeren Ebene einmal in der Woche. Im spirituellen Leben wollen wir in die direkte Erfahrung eintreten; wir arbeiten daran und üben mit großer Disziplin, denn wir glauben nicht, dass die letzte, erfüllende Erfahrung irgendwann nach unserem Tod eintreten wird - wir wollen sie hier und jetzt machen.
Und diese innere Suche, die innere Disziplin bzw. Meditationspraxis ist etwas, was unser Leben ungeheuer bereichern kann, uns zu einem wesentlich liebenswürdigeren Zeitgenossen machen kann, und nicht zuletzt uns selbst ein Glück schenken kann, das gewöhnlichen Menschen verwehrt bleibt.
Trotzdem ist unser erstes Ziel nicht die bedingungslose Liebe, es ist nicht die Glückseligkeit! Denn wir müssen realistisch bleiben: Diese Erfahrungen stellen sich nicht von heute auf morgen ein, denn dann würde jeder dieses Ziel sofort verfolgen. Das sind Errungenschaften, die man nur schrittweise mit Geduld über einen längeren Zeitraum hinweg erlangt. Aber es stimmt auch zu sagen, dass uns jeder kleine Schritt in diese Richtung schon eine innere Erfüllung schenkt.
Unser erstes Ziel ist und bleibt, unser Bewusstsein einmal ein wenig aufzuräumen. Bevor der Sucher nach innerer Erfüllung und Erkenntnis seine Hände nach diesen Dingen ausstrecken kann, muss er in sich zuerst einmal Platz dafür freimachen. Der Platz in uns wird noch von manch guten und vielen negativen Dingen okkupiert. Daher die Technik, einmal alles Loszulassen. Zuerst am besten wirklich alles, also alle Gedanken und Gefühle; später, wenn wir gelernt haben, besser zu unterscheiden, nur alles Negative. Den unnötigen Ärger, der nur unser eigenes System vergiftet, die quälende Welt der unersättlichen Wünsche, die uns nie bleibend be-“Fried(e)“igen kann, die Sorgen, die uns unseren Sarg unnötigere Weise 20 Jahre vor der Zeit schon besorgen, die Ängste, die meist unbewusst existieren, und dennoch Freudendiebe sind usw. und so fort… All das schütteln wir anfangs durch unsere „Achtsamkeitsübung“, Konzentrationsübung, landläufig auch Meditationsübung, wie sie fälschlich oft genannt wird, ab. Das Resultat mag vorerst nicht phänomenal sein, aber die Stille, die sich dann über die Wochen und Monate in unserem Wesen langsam zu etablieren beginn, schenkt uns sehr schnell eine Entspannung, die langsam einem inneren Frieden weicht. Und dann ist schon einmal viel, wirklich sehr viel gewonnen! Sri Chinmoy sagt, „Niemand kann uns unseren inneren Frieden rauben, außer unsere eigenen Gedanken!“ Wenn wir das einmal verstanden haben, haben wir schon viel verstanden. Erst viel später sind, bei mir zumindest, Freude und Liebe in einer bislang ungewohnten Form dazugekommen. Aber das macht nichts aus, wichtig ist vorerst, innen Platz zu schaffen, das Negative entspannt und gelassen zu eliminieren und dann darauf zu warten, dass das entstandene Vacuum vom Positiven erfüllt wird. Das bedeutet also, um das noch einmal zu betonen, dass das Positive von selbst kommt, ihr müsst euch nur bereit dafür machen. Probiert es aus: Es zahlt sich aus, und zwar hundertprozentig!
Arthada, Wien 17.12.2020