Meditationsübungen II
Vorwort
„Alle Wege führen nach Rom.“ Grundsätzlich möchte ich dich ersuchen, nicht jenen kleinkarierten, engen Menschen Gehör zu leihen, die völlig und ganz auf ihre persönliche Meditationsmethode, auf ihren (und keinen anderen!) Meditationsweg schwören und sich über andere Methoden abfällig äußeren. Tatsächlich spielt nicht so sehr die Meditationsmethode an sich eine Rolle als vielmehr die Haltung, in der man sie ausführt. Man kann zum Beispiel über ein überaus mächtiges Mantra verfügen, wird aber kaum von der Wiederholung dieses Mantras Nutzen ziehen können, wenn man dies rein mechanisch, also wie ein Papagei tut. Umgekehrt kann die Wiederholung eines Mantra, auch wenn es nicht ganz korrekt ausspreche, beachtliche Resultate nach sich ziehen, wenn ich die Übung mit Enthusiasmus und Hingabe ausführe.
Der eine genießt einen reinen, frisch dahinsprudelnden Gebirgsbach, der andere sitzt lieber am breiten, ruhig dahinfließenden Strom. Eines jedoch ist sicher, beide Wasserläufe werden früher oder später mit dem unendlichen Meer verschmelzen. In ähnlicher Weise führen letztlich alle aufrichtig ausgeführten Übungen zum gleichen Ziel, so unterschiedlich sie voneinander auch sein mögen.
Bevor wir genauer auf die Übungen eingehen, ein paar Worte zu den Hauptsäulen der inneren Praxis:
Konzentration/Meditation/Kontemplation:
Konzentration
Konzentration: Generell empfiehlt es sich mit Konzentrationsübungen zu beginnen. Meditation ist wie ein inneres Laufen. Die Konzentration ist der Vorgang, mit dem wir die Laufstrecke frei machen, sodass wir dann ungehindert unserem Ziel entgegenstreben können.
Das Ziel aller Übungen ist letztlich, über den oberflächlichen und begrenzten Verstand hinauszugehen. Ohne eine gewisse Übung in der Konzentration wird dies nicht gelingen. Daher sollte man immer, egal für welchen Weg man sich letztlich entscheidet, mit Konzentrationsübungen anfangen, auch wenn diese in gewisser Weise das Gegenteil von Meditationsübungen zu sein scheinen.
Bei der Konzentration sucht man sich ein Objekt und fokussiert alle Aufmerksamkeit auf dieses Objekt. Je kleiner das Objekt ist, umso besser. Ich empfehle immer eine Kerzenflamme, die man in Augenhöhe etwa 1-1,5 Meter vor sich hinstellt, es ginge aber genauso ein Blütenblatt oder eine kleine Blume, ein schwarzer Punkt, den man auf die weiße Wand klebt/malt usw. man kann sich auch auf körperliche Empfindungen konzentrieren, etwa auf den Atem, wie er langsam ein und auszieht. Das Atmen sollte übrigens ganz ruhig, langsam und still ablaufen. Besonders effektiv ist die Konzentration auf den eigenen Herzschlag, was allerdings nicht jedem gelingen mag (einfach geht dies, wenn man zum Beispiel mit Ohropax übt).
Wenn wir uns konzentrieren wollen, ist es gut, wenn wir einen Raum für uns haben. Wir können dazu am Boden im Schneidersitz sitzen, aber genauso gut auf einem Sessel sitzend die Übung durchführen. Wichtig ist nur, dass wir wie bei der Meditation das Rückgrat gerade halten. Die Hände können zum Beispiel auf den Oberschenkeln liegen. Entscheidend für die Konzentration ist, dass man den Verstand weitgehend ausschaltet, indem man die Aufmerksamkeit auf eine einzige Sache lenkt. Dadurch entsteht in der Regel große Intensität. Man kann Konzentration mit dem Bündeln der Sonnenstrahlen durch eine Lupe vergleichen. Die Strahlen werden auf einen Punkt fokussiert, auf dem dann so viel Energie zusammenkommt, dass man damit ein Blatt Papier entzünden kann. Die innere Haltung bei der Konzentration wie bei der Meditation sollte so sein, dass man die Position eines Beobachters, eines Zeugen einnimmt. Natürlich treten ständig störende Gedanken auf, aber wir lassen uns dadurch nicht beirren und schon gar nicht entmutigen, sondern registrieren die Gedanken ohne sie zu bewerten (wobei es jedoch ganz interessant sein kann, was da alles ungerufen in unserem Kopf herumgeistert – normalerweise sind wir uns dessen ja gar nicht bewusst). Wir bleiben also ganz entspannt und gelassen und kehren sofort wieder zu unserem Konzentrationsobjekt zurück.
Wer eine gewisse Befähigung in der Konzentration erlangt hat, dem ist der Erfolg sicher, und zwar der Erfolg auf allen Gebieten. Denn Konzentrationsfähigkeit ist nicht nur wichtig, wenn man in der Meditation und im inneren Leben schnellen Fortschritt machen will, sondern in gleicher Weise für das erfolgreiche Gelingen in unseren äußeren Aktivitäten (beruflicher oder sonstiger Natur). von größter Bedeutung. Wer also seine Konzentrationsfähigkeit schärft, ist in jedem Fall ein Gewinner. Nach ein paar Wochen bzw. schon parallel zu den Konzentrationsübungen kann man dann mit der Meditation beginnen.
Hat man die Fähigkeit der Konzentration extrem weit vorangetrieben, wird alles andere um uns herum außer dem Konzentrationsobjekt verschwinden. Wenn wir uns auf eine Rose konzentrieren, wird es nur mehr die Rose geben, sonst absolut nichts mehr. Und schließlich wird die Distanz zwischen uns und der Rose aufgehoben. Wir werden selbst zur Rose; wir werden zur Schönheit, wir werden zum Duft der Blume, denn Konzentration im höchsten Sinne bedeutet völlige Identifikation. Dann erhält man bzw. wächst man in die Essenz, die göttliche Essenz des Konzentrationsobjekts.
Meditation
Bei der Meditation geschieht gewissermaßen genau das Gegenteil wie bei der Konzentration. Wir fokussieren unsere Aufmerksamkeit nicht auf einen kleinen Punkt außerhalb von uns, sondern Richten den Blick nach Innen und dehnen uns aus, erweitern unser Bewusstsein. Meditation bedeutet, in etwas Weites eintreten, unser Bewusstsein so weit wie möglich auszudehnen. Das kann Frieden, Licht, Glückseligkeit sein. Wenn wir meditieren, müssen wir unseren Verstand gelassen und still machen, das ist unverzichtbar. Aber, wenn ich sage, wir meditieren, ist das nicht völlig richtig, denn genauer gesagt lassen wir es zu, dass wir weiter werden, denn während man sich selbst aktiv konzentriert, so ist es bei der Meditation vielmehr so, dass es „passiert“. Man könnte vielleicht sagen „man wird meditiert“. Dieses „man“ ist unser inneres Wesen, unsere Seele, andere nennen es auch das Höchste, das Göttliche oder Gott, auch wenn ich persönlich mit dem letzten Ausdruck nicht so viel anfangen kann.
Über den Verstand hinausgehen
Meditation bedeutet über den eigenen Verstand hinauszugehen. Da wir unsere Sprache mit dem Verstand benutzen, ist es eigentlich gar nicht möglich, Meditation mit der Sprache zu beschreiben oder gar zu definieren. Eine der treffendsten Definitionen der Meditation ist noch „das Eintreten in das ewige Jetzt, in die Wirklichkeit“, aber selbst dies bleiben nur Worte. Man muss Meditation einfach selbst erfahren, um zu wissen, worum es tatsächlich geht. Noch schwieriger wird eine allfällige Definition noch dadurch, dass letztlich jeder seine einzigartige Art und Weise hat, zu meditieren. Ja, jeder meditiert entsprechend seiner Seelenneigung und inneren Bedürfnisse und Fähigkeiten auf seine ausgesprochen individuelle Weise. Daher – das soll an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben – ist die wirklich erfüllende Meditation, die uns auch letztlich zu unserem spirituellen Ziel der Erleuchtung führen kann, in der überwiegenden Zahl der Fälle nur möglich, wenn wir durch einen erleuchteten Meister innerlich geführt werden.
Die individuelle Meditation
Nichtsdestotrotz gibt es eine Menge an Übungen, die uns dem Gefühl näherbringen, das wir in einer wirklichen Meditation erfahren bzw. die uns in das Fahrwasser der Meditation bringen, sodass diese dann gewissermaßen eine Eigendynamik entwickeln kann und durch unser inneres Wesen (besser noch durch einen spirituellen Lehrer) sich dorthin weiterentwickelt, wohin sie gehört. Alle Übungen, die du bei mir oder sonst wo lernst, dienen also in erster Linie dazu, bei dir eine innere Entwicklung anzustoßen, die aber dann bei jedem einzelnen seinen individuellen Lauf nimmt.
Hier noch ein paar Worte über die Meditation im Allgemeinen: Wir haben schon festgestellt, dass Meditation keine aktive Tätigkeit, wie die etwa Konzentration ist, sondern vielmehr etwas, das wir bewusst zulassen, aber nicht aktiv tun. Du kannst dir das so vorstellen: Wenn wir einen Segelturn machen, sind wir davor sehr aktiv. Wir setzen die Segel und bereiten auf dem Boot alles vor. Sobald aber der Wind die Segel erfasst und wir auf dem Wasser dahinschießen, verbleiben wir regungslos – obwohl wir uns rasch bewegen. Auch in der Meditation ist eine Art dynamische innere Bewegung vorhanden - gleichzeitig ist alles still (in den heiligen Schriften Indiens heißt es: es bewegt sich und es bewegt sich nicht…).
Meditation ist die Sprache Gottes
Meditation ist die Sprache Gottes. Während wir im Gebet mit Gott sprechen und Gott uns zuhört, machen wir uns in der Meditation völlig still. Aber Vorsicht: Wir dürfen keinesfalls dösen, sondern wir müssen vielmehr völlig wach bleiben! Und dann fangen wir irgendeinmal an zu hören, was Gott, unser Selbst, unsere Seele, unser Inneres oder wie auch immer es nennen wollt, immer schon zu uns gesagt hat. Hier muss ich aber sagen, dass man durchaus in besonderen Meditationen eine Kommunikation in einer Sprache erfahren kann, nach meiner Erfahrung ist es jedoch unvergleichlich häufiger, dass unsere Seele bzw. das Höchste uns mit Gefühlen, Intuitionen, also in der Stille mit unsichtbarer, aber gleichermaßen unfehlbarer Hand führt. Wir lernen, Dinge zu vermeiden, die uns schaden, bzw. Dinge zu sagen, die wir später bereuen würden. Dafür beginnen wir in einer Weise zu handeln, die uns zum Licht, zur Erfüllung führt. Unsere Seele spricht auch mit Liebe, Frieden und Glückseligkeit zu uns. Allerdings erhalten wir jene Eigenschaft in der Meditation nicht in dem Ausmaß, wie wir sie uns wünschen würden, sondern in der Quantität, die wir assimilieren können.
Während wir beim Gebet mitunter ein bisschen zum Bettler werden, der sich mit einer Wunschliste an Gott wendet (das muss aber überhaupt nicht so sein), und wo wir uns immer getrennt vom Göttlichen erfahren, liegt der Vorteil in der Meditation, dass wir hier versuchen, unser Ego auszuschalten und ganz auf das Höchste, Beste zu hören. Schließlich können wir in der tiefsten Meditation mit dem Höchsten völlig Verschmelzen.
Kontemplation
Über den letzten Schritt, der Kontemplation, möchte ich kaum etwas sagen, denn ich verfüge hier nur über theoretische Kenntnisse. Das ist wohl dann dieser Verschmelzungsprozess, zu dem uns die Meditation führt. Ich möchte hier nicht als Blinder andere Blinde führen. Soviel sei dennoch erwähnt: Der Spalt zwischen Konzentration und Meditation ist nicht sehr groß, jener zwischen Meditation und Kontemplation ist allerding gewaltig. In der Kontemplation wird man sich des Schöpfers völlig gewahr und kann selbst zum Schöpfer, zum Göttlichen werden. Man tritt in eine Trance jenseits von Zeit und Raum und Form ein und kann selbst diesen Zustand noch transzendieren
Die Meditationspraxis
Wir beginnen die Meditation am besten, indem wir uns auf unser spirituelles Herz konzentrieren, also jenen Ort, auf den wir mit unserer Faust zeigen, wenn wir „ich“ sagen. Und von hier aus versuchen wir nach innen zu gehen, es ist wie ein kleiner Bach, ein Bewusstseinsfluss, der nach innen fließt und langsam, sehr langsam weiter wird. Meditation bedeutet innere Ausdehnung.
Meditation bedeutet innere Ausdehnung
Schließlich wird das Bächlein (symbolisch gesehen) zu einem breiten inneren Strom. Das Ziel liegt darin, dass dieser Strom in das unendliche, ewige und unsterbliche Meer, also uns wahres Selbst, mündet. Auf dem Weg dorthin werden wir ständig von Versuchungen, von Dingen am Ufer des inneren Flusses abgelenkt. Oft verlassen wir den Fluss, um am Ufer einige Zeit mit etwas Vergänglichem zu verbringen, das unsere Aufmerksamkeit momentan in Beschlag genommen hat. Alles, was kommt, vergeht wieder – nur unser wahres inneres Selbst, war immer und bleibt immer. Irgendwann setzen wir dann wieder die Reise in dem Fluss zum unendlichen, unsterblichen ewigen Meer wieder fort.
Gedanken treten auf
Es werden in der Meditation immer wieder Gedanken, Erinnerungen, Eindrücke vom vergangenen Tag usw. auftreten. Die richtige Haltung in der Meditation sieht so aus, dass wir diese Dinge, die am Ufer des Meditationsflusses vorbeiziehen, lediglich registrieren, ihnen aber keine Bedeutung beimessen, sondern einfach gelassen zu unserer Meditation zurückkehren. Das Ziel der Meditation liegt also darin, dass wir, der Bewusstseinstropfen, in unsere Quelle, das Selbst oder Gott, das Bewusstseins-Meer, eintauchen und mit ihm eins werden. Wir verlieren dadurch absolut nichts, sondern weiten vielmehr unsere Wirklichkeit, unser Potential, unsere Befähigung ins Unermessliche aus.
Der Film in unserem Kopf
In der Meditation wollen wir uns von dem Film, der ständig in unserem Kopf abläuft, losreißen und das erfahren, was dahinter, was also hinter dem vordergründigen Verstand existiert. Wir wollen erfahren, wer wir tatsächlich sind! Dafür ist es notwendig, dass wir uns von den Sinneseindrücken, von der oberflächlichen, scheinbaren Wirklichkeit des Seins einmal lösen. So wie wir abends, wenn die Sonne untergeht, langsam die Sterne aufleuchten sehen und sich unser Blick zunehmend in den Kosmos weitet, so werden wir in der Meditation lernen, in der Verstandesstille Dinge zu erkennen und zu verstehen, die aufgrund des überaktiven Verstandes (in der Allegorie die Sonne) einfach nicht erkennbar waren.
Meditation ist die Kunst, die Wirklichkeit zu erkennen
Die Meditation erfindet also nichts neu, sondern ist einfach die Kunst, jene Wirklichkeit zu erkennen, die immer schon in uns war, die wir aber aufgrund des hyperaktiven Verstandes und unseres Fokus auf die Oberfläche des Daseins nicht erkennen konnten. Die Auster schaut von außen äußerst unscheinbar aus. Der Weise weiß allerdings, dass sich hinter der dunklen, unscheinbaren Hülle eine einzigartige, wunderschöne Perle befindet.
In der Tiefe unseres Bewusstseins befindet sich ein Schatz. Wasser ist das okkulte Symbol für Bewusstsein. Wenn wir gelernt haben, die vielen unruhigen Gedankenwellen an der Oberfläche des Sees zu glätten und unser Bewusstsein rein zu machen, dann werden wir erst in die Tiefe sehen können und den Schatz am Grund des Sees erkennen und heben können. Das ist Meditation. Nun zu einigen Übungen, die uns zur Meditation führen können:
Meditationsübungen
Geführte Meditationen
Da ich den geführten Meditationen ein eigenes Kapitel gewidmet habe (siehe hier), gehe ich auf diese hier nicht ein, möchte aber betonen, dass diese sich besonders für den Anfänger hervorragend eignen.
Mantras und Japa
Ein Mantra ist eigentlich eine Anrufung. Es kann aus einer Silbe, einem Wort, ein paar Worten oder einem Satz bestehen. Wenn man ein Mantra viele Male wiederholt, heißt es Japa. Jedes Mantra stellt einen bestimmten Aspekt Gottes dar, jedes Mantra hat eine bestimmte Bedeutung und eine bestimmte Kraft. In der Regel erhält man das aufgrund der eigenen Seelencharakteristik am besten geeigneten Mantra durch einen authentischen spirituellen Meister. Hat man einen solchen nicht, kann man es in seltenen Fällen aus den tiefsten Tiefen des Herzens erhalten.
Ein echter Meister kann einen Bewusstseinszustand in eine hörbare Schwingung „transponieren“. Diese Schwingung, dieses Mantra, verhält sich zum Bewusstseinszustand, mit dem es verbunden ist, wie die Rückseite derselben Medaille; sie ist letztlich eins mit dem ursprünglichen Bewusstseinszustand. Das heißt, durch das seelenvolle Wiederholen eines Mantra kann man sich diesem Bewusstseinszustand nähern, auf diesen einschwingen und schließlich mit ihm verschmelzen.
Das Göttliche Bewusstsein verfügt über zahllose Aspekte und Eigenschaften und so gibt es auch zahllose Mantras. Wenn wir jetzt einfach ein Mantra unserer eigenen Wahl hernehmen und dieses regelmäßig wiederholen, werden wir zweifellos etwas bewirken. Es kann aber sehr leicht passieren, dass wir einen Aspekt anrufen, den wir momentan gar nicht so wichtig benötigen – zum Beispiel, wenn wir etwa das Mantra verwenden, das den Kraftaspekt herabruft, wir aber Licht oder Frieden oder Liebe viel dringender benötigen würden. Möglicherweise kann uns zu viel Energie sogar nervös machen und letztlich kontraproduktiv wirken.
OM
Daher empfehle ich, als Mantra OM (AUM), es wird auch das Muttermantra genannt, zu verwenden, denn es ist der Klang Gottes. Im OM sind der schöpferische, der erhaltende und der umwandelnde Aspekt Gottes enthalten. Laut indischer Yogis ist die Bedeutung des OM so gewaltig, dass man sie in tausenden von Büchern nicht erfassen könnte. Was immer man benötigt, durch die Wiederholung des Mantras OM kann man es erhalten.
Es ist wohl der Urklang, von dem es im Johannesevangelium schon heißt: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott. Das Wort ist Fleisch geworden“. Manchmal sind in Märchen mystische Weisheiten versteckt. „Sesam öffne dich“ – mit einem Zauberwort kann man die geheimen Tore öffnen. Mit einem Mantra kann man die geheimen Bewusstseinskanäle nach innen öffnen. Je nach Mantra führen sie zu einem inneren Bereich, der voller Frieden oder Freude oder Liebe oder sonst einer Qualität ist. Auch der Zauberer verwendet ein „Zauberwort“, etwa „Simsalabim“.
„Gegrüßet seist du Maria“
Mantras sind keine alleinige Errungenschaft des Ostens. Wenn man etwa beim Rosenkranz-Beten das „Gegrüßet seist du Maria“ wieder und wieder wiederholt, entfacht diese Repetition zweifellos mantrische Kraft und wird den Verstand davon abhalten, zu viel herumzuschweifen.
Auch das sog. „Jesusgebet“, ein sehr kurzes Gebet, das von gewissen orthodox christlichen Mönchen u.a. auf dem Berg Athos wiederholt wird, soll über die Macht verfügen, das Bewusstsein der Mönche radikal zu verändern und zu vergöttlichen.
Reinigung
Mantras führen zu einer Reinigung des Wesens; dies insbesondere, wenn sie in normalem oder sogar etwas rascherem Tempo wiederholt werden. Man kann sich das so vorstellen: Wir wollen ein halbleeres Tintenfass reinigen, in dem wir Tropfen für Tropfen Wasser hineintropfen und damit eine zunehmende Verdünnung der Tinte bewirken. Die Reinigung, zu der Japa, also die systematische Wiederholung eines Mantras führt, ermöglicht uns raschen Fortschritt bei der Meditation und rasche Erfolge im inneren Leben. Denn erst wenn wir über ein gewisses Maß an innerer Reinheit verfügen, werden wir fähig, innere Erfahrungen zu bewahren; sonst wären sie immer nur flüchtiger Natur.
Eine Mantra-Übung
Es gibt verschiedene Methoden, insbesondere Geschwindigkeiten, in denen man Mantras wiederholt. Anfangs wiederholt man ein Mantra am besten seelenvoll, aber in normalem Tempo und zählt innerlich mit, damit der Verstand beschäftigt ist und nicht herumstreunt. Am ersten Tag plant ihr 100 Wiederholungen, am nächsten 200 und so weiter, bis ihr bei 700 ankommt, dann reduziert ihr wieder, bis ihr auf 100 zurückgekehrt seid. Ihr könnt selbstverständlich eine ganze Reihe weiterer solcher Zyklen anschließen. Dies alles an einem für die Meditation reservierten „heiligen“ Platz oder in einer reservierten Ecke eurer Wohnung. Ihr könnt dazu eine Kerze brennen lassen und ein Räucherstäbchen anzünden, um die Atmosphäre noch mehr zu reinigen und meditativer zu gestalten.
Für die „hard-core“ Yogis empfehle ich die gleiche Übung mit 500 Wiederholungen zu beginnen und dann Tag für Tag 100 mehr zu wiederholen, bis du bei 1200 ankommst; und dann wieder zurück. Ob du willst oder nicht – du wirst eine Veränderung in dir wahrnehmen, denn diese Übung ist nicht nur sehr einfach, sondern auch sehr effektiv. Und wenn du betriebsblind bist und keine Änderung nach Ablauf einiger Zeit an dir bemerken solltest, so wird zumindest dein Umfeld eine positive Veränderung an deinem Wesen beobachten.
Verschiedene Arten des Japa
Wenn man Om sehr langsam wiederholt, zieht man vor allem Frieden herab. Wiederholt man es schnell, vielleicht sogar so schnell wie möglich repetiert, bewirkt man eine Reinigung und auch eine Energetisierung seines Wesens. Wenn man das Mantra OM laut singt, fühlt man die Allmacht Gottes, wenn man es leise singt, fühlt man die Freude des Höchstens. Und wenn man es lautlos, also nur innerlich, singt, fühlt man den Frieden des Höchstens.
Die innere Haltung ist entscheidend
Und vergesst nicht: Es zählt die innere Haltung und nicht die Anzahl der Wiederholungen. Ein Beamter erhält seinen Gehalt unabhängig davon, wieviel er wirklich gearbeitet hat, aber ein Yogi erhält dann etwas, wenn er mit seinem Herz, mit seiner aufrichtigen inneren Bemühung an das Werk gegangen ist! In einer traditionellen indischen Geschichte wird berichtet, wie drei Pandits, also Schriftgelehrte, zu einer Insel im Ganges ruderten. Dort sahen sie einen ungebildeten, einfachen Yogi, der voller Hingabe ein Mantra aus den heiligen Schriften wiederholte. Die Schriftgelehrten gingen zu dem gottesfürchtigen Mann und belehrten ihn, wie man das Mantra richtig wiederhole, denn der einfache Mann machte einige Fehler bei der Wiederholung der Sanskritworte. Später fuhren die Gelehrten mit ihrem Boot wieder zurück. Da kam plötzlich der einfache Einsiedler auf dem Wasser zu ihnen. Er konnte über das Wasser gehen, da er durch seine spirituelle Disziplin okkulte Kräfte erlangt hatte. Der einfache Asket entschuldigte sich vielmals bei den Gelehrten, er habe schon wieder die richtige Aussprache des Mantras vergessen; ob sie ihn noch einmal darin einweihen könnten.
Eine weitere Übung: Das innere Meer, der innere Himmel
Bei dieser schönen Meditationsübung stellst du dir vor, dass in der Mitte deiner Brust nicht das Herz schlägt, sondern sich die unendliche Ausdehnung des Meeres befindet. Mystiker aller Zeiten bestätigten, dass das spirituelle Herz größer als das Universum ist – eine Wahrheit, die man nur in der Meditationstrance erkennen kann und die der äußerst begrenzte Verstand niemals fassen können wird.
Die blaue unendliche Wasserfläche in deinem Herzen ist jetzt alles, was existiert. Es ist die einzige Wirklichkeit; deine Herzenswirklichkeit. Natürlich mögen da und dort Gedanken auftauchen, aber du schenkst ihnen keinerlei Bedeutung bei, sondern betrachtest sie einfach wie Wellen des Ozeans, die kommen, um zu vergehen; die über keine bleibende Wirklichkeit verfügen. Mit unserem wahren „Ich“, dem Selbst, der Seele verhält es sich ebenfalls so. Wir glauben, wir sind dieser vergängliche Körper, dieser vergängliche Verstand, diese vergänglichen Emotionen. Doch das sind nur flüchtige Charakteristika von uns. Die unendliche, unsterbliche Seele ist die einzig bleibende Wirklichkeit, die wir besitzen und die wir erst erkennen werden, wenn wir in der Meditation über alles hinausgegangen sind, was uns begrenzt und was endlich in uns ist. Betrachte also die Gedanken wie Fische im Meer. Sie können dem Meer nichts anhaben, sie hinterlassen keine Spur im Meer. Das Meer bleibt unberührt davon.
Wenn du auf den inneren Himmel statt auf das Meer meditierst – was unter Umständen insofern leichter fallen mag, als man den Himmel ja immer und überall betrachten kann, dann versuch dich im Herzen mit der unendlichen Weite des Blaus des Himmels zu identifizieren. Ärgere dich nicht über auftretende Gedanken, und messe ihnen gleichzeitig keine Bedeutung bei, sondern betrachtet sie vielmehr als Vögel, die am Firmament vorbeiziehen und dort keinerlei Spur hinterlassen. Du bist voller Gelassenheit, voller Weite, voller Frieden.
Je weiter wir uns fühlen können, desto kleiner werden die Probleme, die Sorgen unseres Lebens. Wenn wir in der Meditation unser Bewusstseinslicht zum Herzens-Ozean auszudehnen lernen, sind wir unsere (früheren) Probleme nicht ganz los. Nein, soweit geht es nicht, aber sie werden klitzeklein, wie eine Welle im Meer. Und von diesem hohen Standpunkt aus betrachtet lösen sie sich oftmals auch einfach auf bzw. betrachten wir diese Dinge einfach nicht mehr als Probleme. Das ist nur eines von vielen, vielen Geschenken, die wir durch die Meditation erhalten.
Übung: Du bist Gottes Kind - Affirmationen
Affirmationen kann man nicht im engeren Sinn als Meditationsübungen bezeichnen, sie werden aber dennoch gerne und sehr erfolgreich von inneren Suchern angewandt und häufig auch unter „Meditationsübungen“ angeführt. Man kann viele gute, positive Gedanken als Rutsche in ein besseres Bewusstsein verwenden: Ein Beispiel einer Affirmation: „Ich möchte heute allen Menschen Liebe schenken.“ Oder „ich möchte spiritueller sein“ oder „Ich möchte voller Güte und Wohlwollen gegenüber allen Menschen sein.“
Affirmation: Rutsche in ein besseres Bewusstsein
Oder: „Heute möchte ich fühlen, dass wirklich ein Kind Gottes bin.“ Du musst dir bei diesen Gedanken klar machen, dass es sich hier nicht um ein reines Gefühl handelt, sondern wirklich um eine Tatsache! Du kannst dir vorstellen, dass dich Maria, die Mutter Gottes, oder einfach die göttliche Mutter am Schoß, in ihren Armen hält. Dehne diese Vorstellungen aus, mach sie so lebendig wie nur möglich. Fühle dich als kleines Kind, dass von der allliebenden Mutter umhegt wird und in Sicherheit ist. Spüre die Wärme der Arme der Mutter, ihre bedingungslose Fürsorge und Liebe. All diese Dinge wirst du in einer späteren Phase deines inneren Lebens als absolute Wirklichkeit erfahren. Fühle, dass du dich um nichts kümmern musst, denn deine göttliche Mutter hat schon alles geplant, überwacht alle Ereignisse in deinem Leben mit größter Umsicht (und vergiss nicht, auch sogenannte „schlechte“ Erfahrungen sind für uns manchmal notwendig und daher unausweichlich) und sie wird dich niemals, absolut niemals im Stich lassen. Dadurch unterscheidet sie sich von irdischen Menschen, die alle gekommen sind, um irgendeinmal wieder zu gehen.
Jeder Gedanke verfügt über große Kraft
Derlei Affirmationen bzw. gute Gedanken verfügen über mehr Macht als du dir das vorstellen kannst! Jeder Gedanke kann wie eine Atombombe in deinem Leben wirken. Daher verwerfe sofort schlechte Gedanken, sobald sie dich angreifen. Umgekehrt dehne jene Gedanken aus, die gut sind, wie etwa „Gott liebt mich mehr, als ich mir das je vorstellen kann“ oder „Ich liebe die Menschen aus ganzem Herzen“.
Die eigentliche Meditation
Es gibt hunderte ähnliche Übungen. Viele Menschen – egal aus welchem Kulturkreis sie stammen -ziehen allerdings die stille Meditation vor und sitzen zur Inspiration vor einer Statue bzw. einem Bild, das für sie ein Wesen verkörpert, das ein hohes Bewusstsein erlangt hat. Das kann Buddha, Mutter Gottes, Jesus oder einer der anderen hohen spirituellen Meister sein.
In der eigentlichen Meditation ist im Gegensatz zur Affirmation und der geführten Meditation, der ich ein eigenes Kapitel gewidmet habe (siehe hier), die Stille im Verstand das wichtigste Ziel. Wir müssen unser Wesen frei machen, damit es unsere Seele mit innerem Frieden, innerer Freude, Liebe und auch mit Weisheit füllen kann.
Der heilige Augustinus, einer der wenigen westlichen Yogis, die das Einssein mit Gott auf integrale Weise erfahren haben, formulierte diese Erkenntnis so: „Du musst von dem geleert werden, was dich füllt, damit du mit dem gefüllt werden kannst, was dir fehlt.“ Wir müssen also über den verstehenden Verstand hinausgehen, um vom Wissen zur Weisheit zu gelangen: „Willst du verstehen? Dann liebe mehr. Willst du mehr lieben? Dann versuche nicht zu verstehen“ Sri Chinmoy
Den Verstand still machen, das Herz ausdehnen
Bei der eigentlichen Meditation ist es also von großer Bedeutung, den Verstand still zu machen und das Herz auszudehnen. Ein Meister oder die eigene Seele wird einen dazu anleiten. Über eine Homepage oder einen gewöhnlichen Meditationslehrer, der einem lediglich das ABC in der Meditation beibringen kann, wird man jedenfalls nicht in die individuelle Meditation eingeweiht werden können. Später, wenn man schon über ein wenig Erfahrung in der Meditation verfügt, kann man übrigens beginnen, positive, göttliche Gedanken in der Meditation zuzulassen und auszudehnen.
Die persönliche, individuelle Meditation ist wohl das schönste, was Meditation bieten kann und jeder, der sich von den anfänglichen Schwierigkeiten, die bei den Meditationsübungen auftreten können, nicht abschrecken lässt und schließlich in dieses Fahrwasser gleitet, wird nicht mehr zu den anderen „Übungen“ zurückkehren wollen.
Ich kann nur immer wieder und wieder betonen: Versuch es doch einfach einmal mit der der nötigen Disziplin und Konsequenz. Nimm dir vor, für einen bestimmten Zeitraum, sagen wir einmal für drei Monate, auch wenn ein Jahr besser wäre, wirklich täglich zu meditieren und warte nicht auf den günstigsten Augenblick, denn den gibt es nicht. Die regelmäßige Meditation wird vielmehr die Umstände so ändern, dass du mehr als ausreichend Zeit finden wirst zu meditieren. Und lass dich auch davon nicht abschrecken, wenn du nicht jeden Tag deine beste Meditationserfahrung machst: Man kann auch im äußeren Leben nicht täglich ein Festessen verzehren. Wichtig ist nur eines: Lass dein inneres Wesen nicht verhungern. Es wird es dich mit Glücklichsein, Zufriedenheit und Erfüllung danken!
Arthada, Wien am 13. Jänner 2021