Atemtechniken
Der Herzschlag und der Atem
Der Herzschlag und der Atem sind jene beiden Lebensfunktionen, auf die wir keine drei Minuten verzichten können, wenn wir unser Leben behalten wollen. Und daher ist es nicht erstaunlich, dass gerade der Atem, aber auch der Herzschlag gerne als Meditationsobjekt verwendet werden. Meditieren wir auf den Herzschlag (was nicht jedem möglich ist), dann fokussieren wir uns dorthin, wo unsere Seele am direktesten zu kontaktieren ist; wir meditieren auf jenes Chakra, das sehr sicher und gleichzeitig sehr erfüllend ist, weil man dort als erstes die Präsenz des Göttlichen spüren kann.
Auf der anderen Seite gelingt es uns besonders leicht, den Gedankenfluss etwas zu kontrollieren, wenn wir unseren Atem unter Kontrolle bringen. Hier gibt es ein ausgeklügeltes System, das Pranayama genannt wird. Prana ist die Lebensenergie, also das Lebensprinzip des Universums und Yama heißt Kontrolle. Dieser Yoga wird auch Yoga Marga genannt. Der Atem ist gewissermaßen ein Band, das die Seele an den Körper bindet. Wenn das Leben bedroht wird, wird sich unsere gesamte Aufmerksamkeit automatisch auf die Erhaltung unseres Lebens richten. Wenn man den Atem zum Beispiel anhält, dann werden wir keine Muse verspüren, den Gedanken freien Lauf zu lassen, wir werden vielmehr auf unseren Atem äußerst fokussiert sein und so haben wir schon ein Ziel im Yoga erreicht: die Fokussierung. Eines der Geheimnisse von Atemübungen liegt also darin, dass es mit diesen sehr leicht fällt, ohne mentale Ablenkungen auf äußere Objekte oder sonstiges Gedankenkreisen in der Stille zu verharren, also ganz auf die Regulation des Atems konzentriert zu bleiben. Es handelt sich einfach beim Atmen um eine so lebensnotwendige Funktion, dass andere Interessen, die naturgemäß bei der Meditation störend wirken, in den Hintergrund treten.
Wenn wir den Atem genauer betrachten, werden wir sehen, dass er sehr mit unserem Bewusstseinszustand, aber auch mit unseren Emotionen korreliert: Leidenschaften, Zorn, Furcht und andere Emotionen sind mit einem unregelmäßigen und oft schnellem Atem verbunden. Sind wir hingegen sehr gelassen und glücklich, werden wir sehr langsam und ruhig atmen. Im Schlaf geht der Atem zum Beispiel ganz regelmäßig.
Der Volksmund kennt diese Zusammenhänge, so heißt es da etwa „das hat mir den Atem genommen“ oder „vor Schreck ist mir der Atem gestockt“…
Wer sich tief auf etwas konzentriert, also wer zum Beispiel einem komplizierten Vortrag folgt oder ein Kunststück zeigt, dass höchste Konzentration abverlangt, der wird ganz automatisch sehr langsam atmen. Erhöhte Aufmerksamkeit oder Konzentration geht ganz natürlich mit verlangsamter Atmung einher. Und offensichtlich kann man auf umgekehrten Wege, also durch verlangsamte Atmung auch eine erhöhte Konzentration bewirken.
Hier ein kleiner Vergleich am Rande vermerkt: Ein unruhiges Äffchen atmet über 30 Mal in der Minute, während der Durchschnittsmensch auf ca. 18 Mal kommt. Riesenschildkröten, die bis zu 300 Jahre alt werden, atmen nur ein paar Mal in der Minute.
Zurück zum Pranayama: Hier versucht man durch ganz bestimmte Techniken, die teilweise aus gutem Grunde streng geheim gehalten werden, das Prana im Körper zu vergrößern und den subtilen Energiefluss in den drei Hauptkanälen (sie werden Ida, Pingala und Shushumna genannt, und vereinigen sich in den sechs Hauptchakren ) entlang der Wirbelsäule zu harmonisieren. Ich möchte zu diesem System nur so viel sagen, dass es ausgesprochen wirkungsvoll sein kann, aber wer diese Übungen, insbesondre die fortgeschrittenen Übungen wie die wechselseitige Atmung mit langem Anhalten des Atems ohne Aufsicht eines kundigen Kundalini-Meisters ausübt, geht ein nicht zu unterschätzendes gesundheitliches Risiko ein.
Lange Zeit übte ich diese wechselseitigen Pranayama-Übungen und die Wirkungen dieser Übungen haben mich ausgesprochen angespornt, diese weiter zu üben. Schließlich landete ich allerdings mit ernsten Herzproblemen im Spital, und das, obwohl ich schon über 100 Marathons gelaufen bin und mich körperlich sehr fit fühlte. In der Folge fand ich heraus, dass diese Übungen durchaus riskant sein können und in Indien nicht wenige aufgrund von Pranayama an Herzproblemen bzw. Tuberkulose erkranken, wenn sie nicht auf Schritt und Tritt von einem authentischen Kundalini-Lehrer betreut werden.
Von diesem Erlebnis an verwendete ich nur mehr jene Atemübungen, die völlig ungefährlich sind, in ihrem Ergebnis aber gleich ermutigend zu sein scheinen. Eine mache ich zum Beispiel vor jeder Meditation und sogar vor jedem spirituellen Singen, denn sie lässt den Übenden interessanter Weise seelenvoller werden: Ich atme tief aus und leere meine Lungen so weit wie möglich. Dabei stelle ich mir vor, dass ich gleichzeitig mein System von allen negativen Gedanken, Eindrücken und Gefühlen befreie. Dann atme ich tief ein und stelle mir vor, dass der Atem direkt von Gott kommt. Sowohl das Ausatmen wie auch das Einatmen erfolgt ganz langsam und möglichst vollständig. Nach dreimaligem Aus- und Einatmen ist diese Übung schon wieder beendet.
Bei einer zweiten, längeren Übung sitzen wir – wie immer bei der Meditation ganz entspannt, aber mit aufrechtem Rückgrat; die Hände können wir auf die Oberschenkel legen. Dann beobachten wir einfach unseren Atem, wie er ganz langsam ein und auszieht. Wenn unsere Gedanken abgleiten, kehren wir einfach zum Atem zurück und messen all den störenden Gedanken keine Bedeutung bei. Wir betrachten sie wie Wellen am Meer, die kurz auftauchen, um dann für immer zu verschwinden. Der Atem soll ganz natürlich fließen, aber immer langsamer werden. Wenn wir in tiefer Meditation sind, sollte der Atem kaum mehr einen Faden bewegen, den wir vor unsere Nase halten. In der Folge können wir uns vorstellen, dass der Atem direkt in die Mitte unserer Brust eintritt und von dort auch wieder unseren Körper verlässt. Der Grund für diese Vorstellung: Wenn wir im Herzen meditieren können, werden uns wesentlich weniger Gedanken stören können!
Hier eine andere Variante dieser Übung: Beim Ein- und Ausatmen zählen wir mit. Und wenn wir die Zahl aufgrund von störenden Gedanken vergessen, fangen wir einfach bei irgendeiner Zahl wieder an. So bleibt unser Verstand ein wenig beschäftig bzw. wird er in Schach gehalten. Später kann man dann nur mehr beim Ausatmen zählen. Das Ausatmen sollte übrigens etwas länger dauern als das Einatmen. Und am Ende des Ausatmens kann man eine kleine Pause einlegen. Aber all das nur dann, wenn es spontan und ungezwungen funktioniert.
Hier eine weitere längere Atemübung, die sehr effektiv ist: Wir atmen sehr langsam, je langsamer wir atmen können, desto meditativer wird unsere Übung wieder ausfallen – aber wir machen nie etwas mit Gewalt, schon gar nicht etwas, was unserem Körper schaden könnte. Und dann stellen wir uns vor, dass wir mit jedem Atemzug eine bestimmte Qualität einatmen. Man beginnt vorzugsweise mit Frieden. Wir stellen uns also vor, dass wir inneren Frieden einatmen und beim Ausatmen können wir gedanklich all unsere Unrast, Gereiztheit, unsere Probleme usw. ausatmen. Wenn wir diese Übung für eine Zeit fortsetzen, werden wir unweigerlich sehen, dass sie sehr wirksam ist, vorausgesetzt, sie wird nicht rein mechanisch durchgeführt. Wir visualisieren, wie sich der Friede von unserem Herzen in unseren ganzen Körper ausdehnt, wie langsam alle Zellen, alle Fasern unseres Körpers von tiefem Frieden erfasst werden und dieser Friede schließlich über unseren physischen Körper sogar hinausreicht… Vorstellung kreiert nämlich Wirklichkeit. Die Welt der Vorstellung ist eine reale Welt. Bedenkt zum Beispiel, was passiert, wenn ihr von einem Unfall träumt: Obwohl ihr ganz ruhig im Bett liegt, wird euer Herz dahinrasen…
Diese Übung kann man auch mit anderen Eigenschaften ausüben, etwa mit Liebe, Freude, Gelassenheit, Kraft usw.
Eine andere Übrung stammt von Meditationsmeister Sri Chinmoy:
"Try to feel that your heart is a vast playground, and that inside this playground there is a special and sacred place where God likes to play. That chosen place is inside your life-breath."
Probieren geht über Studieren: Probiert es einfach einmal aus: Es funktioniert!
Arthada, Wien, 15. 12. 2015